"Unsere Christuskirche – eine bekennende Kirche"

Friedhelm Tripp in der Festschrift zum 50. Jubiläum der Christuskirche

In den Tagebüchern von Joseph Goebbels findet man im Februar 1937 folgende Einträge:

„Kerrl (Minister für Kirchenfragen) hat einen furchtbaren Unsinn angerichtet. So kann man die Kirchenfrage nicht lösen, man schafft damit nur Märtyrer. Kerrl will die Kirche konservieren, wir wollen sie liquidieren…“

„Der Führer gibt zuerst einen Überblick über die Situation. Er kann jetzt keinen Kirchenkampf gebrauchen. Erwartet in einigen Jahren den großen Weltkampf, Deutschland verliert nur noch einen Krieg; das wäre dann das Ende….“

Adolf Hitler selbst in einer Geheimrede am 23.11.1937 zur Stellung der Kirchen:

„Eines ist aber klar entschieden: Über den deutschen Menschen im Jenseits mögen die Kirchen verfügen, über die deutschen Menschen im Diesseits verfügt die deutsche Nation durch ihre Führer“

Und bei einem Tischgespräch:

"Es ist nicht wünschenswert, die gesamte Menschheit zum Narren zu halten, und der einzige Weg, sich des Christentums zu entledigen, ist es, es nach und nach sterben zu lassen..."

Am 6. Mai 1937 sagt Hans Martin Gericke, der erste Pfarrer der Christuskirche, in seiner Predigt zur Einweihung der Christuskirche:

„Unser neues Gotteshaus wird immer wieder die Aufgabe haben, dass wir uns als Gemeinde um unser Haupt Jesus Christus sammeln um seine Befehle zu empfangen. Der sonntägliche Gottesdienst ist auch immer wieder ein Antreten zum Befehlsempfang.“

Zu der Zeit, als die nationalsozialistischen Machthaber darüber nachdenken, wie man die Kirchen möglichst geräuschlos liquidiert und die „Bekennende Kirche“ den Zugriff der Machthaber auf ihre Kirchengemeinden verhindern will, wird 1937 die Christuskirche eingeweiht.

Der Bau der Kirche hat zunächst eigentlich nur praktische Gründe. Die Kirche für die evangelischen Lutherischen Christen in der Grüne und in Lössel ist die Bauernkirche, für die Reformierten die Reformierte Kirche in der Wermingser Straße. Viele Menschen scheuen den weiten Weg und treffen sich in Versammlungen in Privathäusern oder in freien Gemeinden. Auch um diese Gemeindemitglieder wieder zurück zu gewinnen, wird am 8. Februar 1932 die Bildung eines neuen Pfarrbezirks Grüne und dazu der Bau einer Kirche beschlossen.

Pfarrer van Randenborgh schreibt dazu:

"Zu Beginn des Jahres 1932 wurde die Arbeit in dem Pfarrbezirk Grüne tatkräftig aufgenommen. In einer Gemeindeversammlung Mitte Februar 1932 , die von den Gemeindegliedern des Grüner Pfarrbezirks überaus gut besucht war, wurde beschlossen, dass in Zukunft im regelmäßigen Wechsel an einem Sonntag in der Turnhalle in Dröschede und im Gemeinschaftshaus Obergrüne und an dem anderen in der Schule zu Lössel gepredigt werden sollte. Diese Gottesdienstordnung ist durchgeführt worden, bis im Jahre 1937 am Himmelfahrtstage, dem 6. Mai, die neugebaute Christuskirche auf dem Roden eingeweiht werden konnte. Am 4. Mai 1932 wurde Hilfsprediger Hans Martin Gericke zum Pfarrer unserer Gemeinde gewählt und am 5. Juni 1932 in sein Amt eingeführt. Er wohnte zunächst in einer behelfsmäßigen Pfarrwohnung in der Grüne..."

Im gleichen Jahr werden in Thüringen die „Deutschen Christen“ gegründet.

Ihre wichtigsten Forderungen:

  • „Wir sehen in Rasse, Volkstum und Nation uns von Gott geschenkte und anvertraute Lebensordnungen. […]
  • Daher ist der Rassenvermischung entgegenzutreten. […]
  • In der Judenmission sehen wir eine schwere Gefahr für unser Volkstum. Sie ist das Eingangstor fremden Blutes in unseren Volkskörper. […]
  • Insbesondere ist die Eheschließung zwischen Deutschen und Juden zu verbieten.“

Weiterhin:

  • die Auflösung der von Synoden regierten 29 Landeskirchen, die in ihrem Bekenntnis frei waren, und Schaffung einer nach dem Führerprinzip strukturierten „Reichskirche“
  • der Ausschluss der Judenchristen
  • die „Entjudung“ der kirchlichen Botschaft durch Abkehr vom Alten Testament, Reduktion und Umdeutung des Neuen Testaments
  • die „Reinhaltung der germanischen Rasse“ durch „Schutz vor Untüchtigen“ und „Minderwertigen“
  • die Vernichtung des angeblich „volksfeindlichen“ Marxismus.


Sie treten dann auch schon kurz nach der Gründung in Iserlohn mit einigen Kandidaten auf der Einheitsliste zu den Kirchenwahlen an.

Wahlaufruf der "Deutschen Christen"

Ein Jahr später sind die Nationalsozialisten mit Hilfe der Deutschnationalen Parteien ganz legal an die Macht gekommen. Mit Hilfe des „Ermächtigungsgesetztes“ schalten sie sofort ihre politischen Gegner aus. Um auch die evangelische Kirche gleichzuschalten, werden für den 23. Juli 1933 Kirchenwahlen angesetzt. Mit Hilfe der „Deutschen Christen“ wollen die Machthaber auch die Presbyterien der Kirchengemeinden unter ihren Einfluss bringen. Deswegen werden die „Deutschen Christen“ vor der Wahl massiv von Hitler und seiner Partei unterstützt. Ihre Rechnung geht auch zunächst auf. Auch in Iserlohn gewinnt die Liste auf der die „Deutschen Christen“ kandidieren die Mehrheit im Presbyterium. Der einzige Wahlbezirk, in dem sie keine Stimmenmehrheit bekommen, ist der neue Pfarrbezirk Grüne.

Wahlaufruf der "Bekennende Kirche"

Viele evangelische Pfarrer und Gemeindemitglieder in Deutschland sympathisieren mit der neuen Regierung. Einige treten in die NSDAP ein. Sie sind deutschnational eingestellt und Feinde der Weimarer Republik. Sie trauern dem Kaiserreich nach, in dem die evangelische Kirche eine bestimmende Kraft war. Der Kaiser war ihr Oberhaupt und wer im Kaiserreich etwas werden wollte musste evangelisch sein. Die Weimarer Republik stellt ihr Weltbild auf den Kopf. Ihre alten Feinbilder: Katholiken, Sozialdemokraten, Juden und selbst Atheisten, sind jetzt in führende Positionen der neuen Republik gelangt. Die neuen Freiheiten im Kulturleben empfinden sie als bedrohlich und gottlos. Deutscher zu sein heißt nun auf einmal nicht mehr automatisch evangelisch zu sein. Anders als die Katholiken mit ihrer Zentrumspartei, haben die Protestanten im Bewusstsein Ihres Einflusses im Kaiserreich es versäumt eine eigene Partei zu gründen. Die NSDAP scheint ihnen nun die einzige Partei zu sein, die die alten Zustände wieder herstellen will, obwohl der Nationalsozialismus weit außerhalb der beiden christlichen Konfessionen steht. Nur die Propaganda der Nazis sollte bis zuletzt den Irrglauben erwecken, Nationalsozialismus und Christentum seien vereinbar.

Zitat A. Hitler:

»Nationalsozialistische und christliche Auffassungen sind unvereinbar ... Immer mehr muss das Volk den Kirchen und ihren Organen, den Pfarrern, entbunden werden ... Niemals aber darf den Kirchen wieder ein Einfluss auf die Volksführung  eingeräumt werden. Dieser muss restlos und endgültig gebrochen ... (und) beseitigt werden ... Erst dann  sind Volk und Reich für alle Zukunft in ihrem Bestande gesichert.«

Dazu Joseph Goebbels taktische Überlegung:

"Nicht Partei gegen Christentum, sondern wir müssen uns als die einzig wahren Christen deklarieren. Dann aber mit der ganzen Wucht der Partei gegen die Saboteure..."

Pfarrer Bruno Linde

Der Iserlohner Pfarrer Bruno Linde hält im August 1933 beim „Aufmarsch der Zehntausend“, einem SA-Gedenktreffen auf dem Schillerplatz, die Predigt beim Feldgottesdienst, er hat das NSDAP-Parteiabzeichen am Revers.

Pfarrer Gravemann aus Oestrich sagt 1933 in der Predigt im Feldgottesdienst beim Standartentreffen der SA in Letmathe:

"Das sei es, wofür wir den braunen Kämpfern zum Dank verpflichtet seien, dass sie ihr Leben jahrelang in die Schanzen geworfen haben, weil es um Deutschland ging. Wenn dieses unserer Führer gefordert habe, so habe er es für ein Volk, das gegründet sei auf ewiger Kraft, durchdrungen sei von ewiger Kraft und erfüllt sei von einem ewigen Gott, gefordert."

Andererseits gibt es auch aber auch evangelische Christen, denen von Anfang an klar ist, welche Gefahr die Nationalsozialisten für Deutschland sind und auch politisch in Opposition zu den neuen Machthabern stehen.

So sagt Karl Barth, Theologieprofessor in Bonn, im Sommer 1933 bei einer Diskussion über die neuen Machthaber:

„Seien sie sich klar, es sind Narren oder Verbrecher, wahrscheinlich beides.“

Pfarrer Karl Barth

In der Zeitschrift „Theologische Existenz heute“ schreibt er über die Aufgaben der Kirche:

„Die Kirche glaubt an die göttliche Einsetzung des Staates als des Vertreters und Trägers der öffentlichen Rechtsordnung im Volke. Sie glaubt aber weder an einen bestimmten, also auch nicht an den deutschen und sie glaubt an keine bestimmte, also auch nicht an die nationalsozialistische Staatsform. Sie verkündigt das Evangelium in allen Reichen dieser Welt. Sie verkündigt es auch im Dritten Reich, aber nicht  u n t e r  ihm und nicht in  s e i n e m  Geiste.“

Pfingsten 1933 erscheint ein „Wort und Bekenntnis westfälischer Pastoren zur Stunde der Kirche und des Volkes“. Zu den Unterzeichnern des Aufrufs gehört auch Hans Martin Gericke, Pfarrer in der Grüne. Im 1. Artikel steht unter anderem:

„Aber, wo der Mensch seine Herrschaft über die Erde benutzt um sich zum Herrn aller Herren zu machen, handelt er im Gegensatz zu der Schöpfungsherrlichkeit Gottes, wirft die ihm vom Schöpfer gegebene Vollmacht über die Erde weg und verfällt mit seinen Werken den Dämonen.“

Die Hitlerjugend nutzt die Sonnenwendfeier 1933 zum Überfall auf die Häuser des CVJM und des „Bibellesekreises“ um das Inventar zu beschlagnahmen. Heinrich Westhelle, ein Augenzeuge, berichtet:

„Nachdem sich die Nazis anfangs wie ein Wolf im Schafskleid darstellten, zeigten sie sehr bald ihr wahres Gesicht: Totaler Staat, der uns keinen Lebensraum gewähren wollte. Es folgten dann in raschem Tempo Verbot der Kluft, Heimbesetzung an einem Samstagnachmittag durch die Hitlerjugend. Ich wollte an diesem Nachmittag gerade ins Jugendheim, nur durch meinen Hinweis, dass ich in die Privatwohnung der Familie Grüber möchte, wurde mir Einlass gewährt. Beim Eintritt in die Wohnung von Grübers war ich Zeuge eines Gespräches, das der damalige Schriftwart Erich Lesinski mit dem Reichswart (des CVJM) Erich Stange in Kassel führte. Stange hat sich dann mit dem Kreisleiter der NSDAP in Verbindung gesetzt und so die Freigabe unseres Jugendheims erreicht.“

CVJM-Haus Hagener Str. 68 (jetzt Hans-Boeckler Str. 68)

Welcher subtiler Druck schon 1933 ausgeübt wurde beschreibt er mit folgender Notiz:

"Nach einem Gartennachmittag im Sommer 1933 waren wir hernach noch im Jugendheim beieinander. Der Posaunenchorleiter blies mit seiner Trompete das "Horst-Wessel-Lied". Alle standen auf, die allermeisten erhoben ihre Hand zum Hitlergruß, bis auf 3 - 4, die ihre Hand unten ließen. Hernach sagte man mir, als einem, der auch seine Hand unten gelassen hatte, ob ich mir auch der Tragweite meines Handelns bewusst wäre."

Als aber die Nationalsozialisten über die Deutschen Christen die Struktur der Kirche und auch die Theologie verändern wollen, erwachen einige aus dem nationalen Taumel. Erster Protest regt sich, als bei einer Kundgebung der „Deutschen Christen“ am 13. November 1933 im Berliner Sportpalast folgende Forderungen gestellt werden:

  • Die „Seele des deutschen Volkes“ gehöre „restlos dem neuen Staat“. Dessen Totalitätsanspruch könne folgerichtig auch vor der Kirche „nicht halt machen“. Der Nationalsozialismus wolle diese „aus seinem Geist erneuern und neu gestalten“.
  • Vereinigung aller Religionen und Konfessionen in einer „völkischen Nationalkirche“ sei das Gebot der Stunde. Dazu bedürfe es umgehend einer „Befreiung von allem Undeutschen in Gottesdienst und im Bekenntnismäßigen,
  • Befreiung vom Alten Testament mit seiner jüdischen Lohnmoral, von diesen Viehhändler- und Zuhältergeschichten.“
  • Zudem sei notwendig, „dass alle offenbar entstellten und abergläubischen Berichte des Neuen Testaments entfernt werden und dass ein grundsätzlicher Verzicht auf die ganze Sündenbock- und Minderwertigkeitstheologie des Rabbiners Paulus ausgesprochen wird […]
  • Hierbei gehört auch, dass unsere Kirche keine Menschen judenblütiger Art mehr in ihren Reihen aufnehmen darf.“ Für Judenchristen seien abgesonderte Gemeinden einzurichten.

Daraufhin gibt es zahlreiche Austritte bei den „Deutschen Christen“.

Im Widerstand gegen die Einflussnahme der Nationalsozialisten entsteht die Bewegung der “Bekennenden Kirche“. Bald gehören auch alle Iserlohner Pfarrer dazu. So wechseln auch der zuvor zitierte Pfarrer Gravemann aus Oestrich, wie sein Iserlohner Kollege Linde das Lager. Ernüchtert von der nationalsozialistischen Kirchenpolitik schließen sie sich der „Bekennenden Kirche“ an. Bruno Linde in seiner Weihnachtspredigt 1933 in der überfüllten Obersten Stadtkirche:

„Eine neue Religion ist auf dem Wege, eine deutsche Religion, die redet von einem Gott, der nur über Deutschland seine Gnadensonne scheinen lässt, die verachtet, was an Religion im Orient geboren ist, die bekämpft was aus den Städten des alten Judenreichs kommt. Die will nichts wissen von einem in Bethlehem geborenen Heiland. Für viele ist daher die Frage gelöst: Wie klingt das Alte mit dem Neuen zusammen? Ihre Antwort heißt: Es gibt keinen Zusammenklang!“

Um die seelsorgerliche Versorgung der „Deutschen Christen“ zu gewährleisten, wird für sie eine Pfarrstelle bereitgehalten, die mit einem DC-Pfarrer besetzt wird.

Pfarrer van Randenborgh berichtet über die folgenden Monate:

„Im Januar und Februar 1934 erfolgten viele Maßregelungen von Pfarren durch die D.C. Kirchenbehörden, die sich dabei vielfach der Staatspolizei bedienten. Pfarrer wurden versetzt, beurlaubt, Amts enthoben, Reiseverbote wurden verhängt usw. Aber damit wurde der Widerstand gegen das kirchenfremde Kirchenregiment nicht gebrochen, sondern gestärkt, denn nun begannen sich die Gemeinden zu regen.“

Nachdem im Dezember 1933 Reichsbischof Müller und Reichsjugendführer Baldur von Schirach darin übereingekommen waren, die evangelische Jugend in die Hitlerjugend einzugliedern, werden am 4. März 1934 die Jungscharen des CVJM-Iserlohn in die Hitlerjugend eingegliedert.

Kurt Schmidtchen war damals Jungscharler und erinnert sich:

„Am Sonntag, den 4. März 1934, fand unsere Eingliederung in die Hitler - Jugend bzw. in das deutsche Jungvolk statt. Der Jungtrupp und die Jungschar traten morgens geschlossen auf dem Schillerplatz an. Von dort marschierten wir zusammen mit der Gefolgschaft "Ost" der HJ und einem Fähnlein Jungvolk zum HJ - Heim am Dicken Turm. Hier hörten wir uns die Übertragung der Rede des Reichsbischofs Müller aus dem Dom zu Berlin an. Nach der Rede wurden alle vom Jugendtrupp und von der Jungschar durch Berühren der Gefolgschaftsfahne und durch Handschlag des neuen Gefolgschaftsführers vereidigt. Die Vereidigung wurde durchgeführt vom Unterbannführer Landsberg. Zum Abschluss wurde das Hitlerjugendlied gesungen. Die Jungschar bildete einen eigenen Zug - der Jugendtrupp wurde auf die Gefolgschaft " Ost" verteilt. Vom Jungtrupp gehen Willi Dach, Gustav Hillebrand und Hans Eckardt als Führer zum Jungvolk. Mit einem abschließenden kurzen Marsch durch die Stadt, schließt die endgültige Eingliederung in die Hitler-Jugend.“

Bei der HJ sang man dann:

"Wir sind die fröhliche Hitlerjugend,
wir brauchen keine christliche Tugend,
denn unser Führer ist Adolf Hitler,
ist unser Erlöser, unser Vermittler.

Kein Pfaff kein böser, kann uns hindern,
dass wir uns fühlen als Hitlerkinder.
Nicht  Christus folgen wir, sondern Horst Wessel,
fort mit Weihrauch und Weihwasserkessel.

Wir folgen singend Hitlers Fahnen,
dann sind wir würdig unserer Ahnen.
Ich bin kein Christ und kein Katholik,
ich geh mit SA durch dünn und dick.

Die Kirche kann mir gestohlen werden,
das Hakenkreuz macht uns selig auf Erden,
ihm folg ich auf Schritt und Tritt,
Baldur von Schirach, nimm mich mit."

Jetzt ändern sich die Mehrheitsverhältnisse auch im Presbyterium der Iserlohner Kirchengemeinde. Die „Deutschen Christen“ geraten mit der Zeit in Minderheit.

Pfarrer Gottfried van Randenborgh

Dazu van Randenborgh:

"Am 21. März 1934 fasste unser Presbyterium folgenden bedeutungsvollen Beschluss: "Das Presbyterium schließt sich mit 11 gegen 8 Stimmen der Entschließung der westf. Bekenntnissynode vom 16. III. 34 an, sieht in ihr die kirchlich rechtmäßige Synode der Provinz Westfalen und stellt sich unter ihre geistliche Leitung." Darauf verfügte am 15. 4. das unter Führung des D.C.- Bischof Adler stehende Konsistorium in Münster die Auflösung des Presbyteriums und setzte die Herren Pastor Natorp, Opderbeck und Bömcke zu Bevollmächtigten unserer Gemeinde ein. Die Mehrheit des Presbyteriums erkannte aus Glaubens- und Rechtsgründen diese Verfügung nicht an und konstituierte sich als das rechtmäßige Presbyterium unserer Gemeinde. Seine erste Sitzung wurde dadurch verhindert, dass den erschienenen Presbytern der Zugang zum Sitzungszimmer wie auch das Protokollbuch von den "Bevollmächtigten“ verwehrt und verweigert wurde. Ebenfalls wurde von den "Bevollmächtigten" eine von allen Gemeindepfarrern mit Ausnahme von Pfarrer Natorp (dem Pfarrer für die „Deutschen Christen“) zusammengerufene Bekenntnisversammlung in der Kirche verhindert dadurch, dass der Schlüssel zur Kirche nicht herausgegeben wurde. Eine sehr große Schar Gemeindeglieder war vor der Kirche zusammengeströmt, wartete lange vergeblich und ging schließlich nach Gesang des Lutherliedes und Gebet wieder auseinander.“"

Am 11.April 1934 kommen etwa 5000 Anhänger der Bekennenden Kirche zu einer Bekenntnisversammlung auf die überfüllte Alexanderhöhe. Eine zuvor in der Obersten Stadtkirche geplante Veranstaltung war verboten worden. Wegen der großen Teilnehmerzahl werden zwei parallele Veranstaltungen in der alten und neuen Halle durchgeführt. Alle Pfarrer halten im Wechsel bei beiden Veranstaltungen einen Vortrag. Da Gegner der Veranstaltung Tumulte anzetteln, wird die Versammlung in der neuen Halle schließlich von der Gestapo aufgelöst.

Pfarrer Hans-Martin Gericke

Pfarrer Hans Martin Gericke macht in seinem Vortrag deutlich:

"Und  a l l e i n  sein Wort, nicht wie es ein „Kampfstaffelführer“ der „Deutschen Christen“ in Braunschweig gesagt hat: „Mit lutherischen Glaubensmut wagen die „Deutschen Christen“ mit bewährten alten Steinen, Bibel und Bekenntnis, und mit neuen Steinen, Rasse und Volkstum, im Glauben die Christuskirche deutscher Nation zu bauen.“ Da sagen wir nein und abermals nein,  a l l e i n das Wort Gottes,  a l l e i n, Bibel und Bekenntnis."

In der Folge gibt es in Iserlohn einen Kleinkrieg zwischen den beiden Fraktionen in der Gemeinde: Schlüssel werden versteckt, Pfarrer im Gemeindebüro eingesperrt und dem Reichsbischof Müller wird zweimal der Zutritt zur Obersten Stadtkirche verwehrt.

Führende Vertreter der „Bekennenden Kirche“ Deutschlands kommen vom 29. bis 31. Mai 1934 in Wuppertal Barmen zu einer Bekenntnissynode zusammen, die die „Barmer Theologische Erklärung“ verabschiedet, die das theologische Fundament der „Bekennenden Kirche“ wird. Sie wurde zum größten Teil von Karl Barth formuliert.

In der ersten These steht:

„Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.

Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen.“

In einigen Fällen muss die Kirchenleitung in Berlin auch Entscheidungen wieder zurücknehmen. Pfarrer van Randenborgh:

“Auf Grund von mannigfachen Rechtsgutachten, die gegen das d.c.liche Gewaltregiment in der Kirche geltend gemacht worden waren, sah sich "Reichsbischof" Müller gezwungen, eine Anzahl von Kirchengesetzen, die er seit dem 26. Januar 1934 erlassen hatte, im November 1934 zurückzunehmen. Die Folge davon war, dass das Ev. Konsistorium in Münster mit Verfügung. vom 23. 11. die Auflösung des Presbyteriums und die Einsetzung der Bevollmächtigten in unserer Gemeinde widerrufen musste. Es hat das im Amt befindliche Presbyterium als das rechtmäßige Presbyterium anerkannt.“

Am 18. März 1935 werden alle Pfarrer der Bekennenden Kirche von der Polizei unter Hausarrest gestellt. Man will damit verhindern, dass sie bei den Gottesdiensten die Erklärung der Dahlemer Bekenntnissynode zur „neuen Religion“ verlesen.

1. Spatenstich Grundsteinlegung Schlüsselübergabe durch Architekt Langemaak

Am 5. Juli 1936 wird der Grundstein zur Christuskirche gelegt. In der Zeitkapsel befinden sich neben der Urkunde zur Grundsteinlegung die Texte der Vorträge der Pfarrer bei der Bekenntnisversammlung auf der Alexanderhöhe und der Text der Barmer Erklärung.

Am 6. Mai 1937 wird die Christuskirche eingeweiht. Aus einem profanen Kirchenbau ist ein Zeichen des Bekenntnisses der evangelischen Christen der Grüne und Lössels geworden. Friedhelm Tripp schreibt in der Festschrift zum 50. Jubiläum:

"Unsere Christuskirche selbst ist in ihrer baulichen Gestaltung nur vor dem Hintergrund dieser großen geistlichen Auseinandersetzung zu verstehen. Das große Kreuz im Altarraum zwingt die Gemeinde zu Christus, dem Mittelpunkt unseres Glaubens," schrieb Hans-Martin Gericke 1937. „Der Name Christuskirche ist zugleich ein Bekenntnis: Kirche ist da, wo Christus der Herr ist.“

Pfarrer Caspar Wilhelm Eickmann

Natürlich wurde der Bau einer Kirche im Umfeld der Nationalsozialisten nicht begeistert aufgenommen. Pfarrer Eickmann dazu:

„Durch den auch in Iserlohn beginnenden Kirchenkampf kam es zu vielen Kirchenaustritten - auch in der Grüne. Man konnte zwar den Bau der Christuskirche nicht verhindern. Aber man hatte so seine eigenen Pläne für den späteren Gebrauch des Neubaus, wenn erst die NS-Ideologie sich vollständig durchgesetzt hätte. Wir werden den Bau später gut als Kino, Volksheim, Versammlungsraum für Gliederungen der Partei gebrauchen können; so und ähnlich wurde in kirchenfeindlichen Kreisen gesprochen. Das war das geistige Umfeld zu der Zeit, als die Christuskirche gebaut wurde. Zugleich aber wuchs die Zahl derer, die sich zu den Bekenntnissen der Väter bekannten.“

Funkspruch zur Überwachung des Bittgottesdienstes Bericht von der Überwachung

Am 1. Juli 1937 wird Martin Niemöller, einer der führendenden Vertreter der „Bekennenden Kirche“ Deutschlands, erneut verhaftet. Zu diesem Zeitpunkt waren etwa 40 Verfahren gegen den Pfarrer anhängig. Auch das Iserlohner Presbyterium schreibt einen Protestbrief an den Reichsjustizminister:

"Unserer Gemeinde ist bekannt, dass Herr Pfarrer Martin Niemöller, Berlin-Dahlem sich seit dem 1. Juli im Gefängnis befindet. Die Glieder der Ev. Kirche wurden durch diese Tatsache umso mehr beunruhigt, als bis zum heutigen Tag noch nicht bekannt ist, dass gegen Pfarrer Niemöller ein ordentliches Verfahren eröffnet worden wäre. Die Evangelische Christenheit Deutschlands, die in Pfarrer Niemöller einen verantwortungsbewussten Amtsträger der Kirche erblickt, kann es nicht ertragen, das Pfarrer Niemöller noch länger in Untersuchungshaft gehalten wird, ohne ihm die Möglichkeit zu geben, sich in einem ordentlichen Gerichtsverfahren zu verteidigen. Das Presbyterium unserer Kirchengemeinde bittet daher den Herrn Reichsjustizminister dringend darum, dass gegen Pfarrer Niemöller ein ordentliches Verfahren unverzüglich eröffnet wird, oder dass er aus der Haft entlassen werde."

Das Iserlohner Presbyterium ist bei der Kirchenleitung in Berlin schon wegen seiner häufigen Protestbriefe, Einsprüche und Eingaben zu Fragen der Kirche unliebsam aufgefallen. Es gibt aber keine öffentlichen Verlautbarungen oder Proteste der „Bekennenden Kirche“ in Iserlohn nach der Brandstiftung an der Synagoge in der Reichspogromnacht am 9. November 1938 oder zum Abtransport der Iserlohner jüdischen Glaubens in die Konzentrationslager. Der Widerstand bleibt innerkirchlich und richtete sich nicht gegen das politische System des Nationalsozialismus.

Der Essener Jugendpfarrer Wilhelm Busch war ein führendes Mitglied der Bekennenden Kirche im Rheinland. Er stand ständig unter der Beobachtung der Gestapo und wurde mehrmals verhaftet. Seine Sätze aus den 60er Jahren sind heute nach über 50 Jahren aktueller denn je:

„Wir leben in einer Demokratie. Demokratie heißt, dass jeder Bürger mitverantwortlich ist. Es ist erschreckend, wie weit es mit unserer Demokratie gekommen ist. Der größte Teil der Jugend sagt: „Wie können wir verantwortlich sein? Wir können ja gar nicht mehr eingreifen." Ich möchte Ihnen sagen: Wir haben eine politische Verantwortung dafür, dass so etwas nicht wiederkommt.

Das wissen Sie ganz genau, dass es in Deutschland Kräfte gibt, die sich das wünschen. Wiederherstellung.

Sie sind dafür verantwortlich, dass dazu „NEIN" gesagt wird! Denken Sie daran, dass Hitler ja nicht mit einem Staatsstreich an die Macht kam, sondern auf legalem Weg. Völlig legal, bis zur letzten Leitersprosse!

Er wurde gewählt, die NSDAP wurde die stärkste Partei. Der Präsident Hindenburg übergab ihm die Regierungsbildung. Völlig legal! Er brachte ein Gesetz ein, das ihm alle Vollmachten gab und alles Übrige entmachtete. Das wurde angenommen.

Ich bin kein Politiker, aber ich möchte Ihnen sagen, dass Sie politische Verantwortung haben. Nehmen Sie mal einen Politiker, der das Recht gering achtet, der die Macht liebt, und dazu die Notstandsgesetzgebung, wie sie jetzt geplant ist. Das zusammen wäre die nächste Diktatur!

Darum bin ich der Ansicht, wir dürfen über diese Dinge nicht einfach schweigen.

Ich habe letztes Mal gesagt, wir alle haben Schuld. Wenn ich richtig gestanden hätte, wäre ich nicht mehr am Leben.“

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Dies ist nur ein knapper unvollständiger Abriss der Ereignisse des „Kirchenkampfes“ in der Zeit der Entstehung der Christuskirche. Wer mehr Informationen über die Iserlohner Kirchengemeinde im „Kirchenkampf“ haben will, findet sie im Kirchenarchiv an der Obersten Stadtkirche.

Verschiedene Pfarrer der „Bekennenden Kirche“ haben Erinnerungen aus dieser Zeit aufgeschrieben. Allein Pfarrer Eickmann hat mehrere Berichte zur Entstehung und Geschichte der Christuskirche und der Gemeinde verfasst. Alle diese Berichte, viele Dokumente und Bilder findet man auf der CD-ROM, die zum 75. Jubiläum der Christuskirche herausgegeben wurde.

Zur „Bekennenden Kirche“ in Letmathe gibt es Informationen in dem sehr empfehlenswerten Buch von Peter Trotier, Letmathe im Dritten Reich, 2011 im Selbstverlag erschienen (daraus das Zitat Pfarrer Gravemann)

Sonstige Quellen für die Zitate:
Joseph Goebbels, Tagebücher, Piper Verlag München , 1992 (Zitate J. Goebbels)

Michael Hesemann, Hitlers Religion, Pattloch Verlag, 2004 (HJ Lied)

Karl Barth, Theologische Existenz heute, Christian Kaiser Verlag München 1933

Harald Focke/Monika Strocke, Alltag der Gleichgeschalteten. Wie die Nazis Kirche, Kultur, Justiz und Presse braun färbten. Rowohlt Taschenbuch, Reinbek 1985 (1. Zitat Karl Barth)

Henry Pickler, Hitlers Tischgespräche, Ullstein Verlag, Frankfurt 1989 (Zitate A. Hitler)

Wir verwerfen die Falsche Lehre, Arbeits- und Lesebuch zur Barmer Theologischen Erklärung und zum Kirchenkampf, Jugenddienst Verlag Wuppertal 1984 (Zitat : Wort und Bekenntnis westfälischer Pastoren zur Stunde der Kirche und des Volkes )

Kirchenarchiv Iserlohn und diverse Zeitzeugen aus Kirche und CVJM

Christuskirche heute