Wer, wenn nicht wir? Wann, wenn nicht jetzt?

Erstellt am 23.03.2024

Iserlohn-Roden. Vor 90 Jahren und vor 87 Jahren fanden zwei Ereignisse statt, die für die Christen in Deutschland und hier am Roden und in der Grüne in Iserlohn entscheidende Weichenstellungen waren und zu Orientierungspunkten und Wegweiser für die Menschen wurden, auch wenn sie nicht ständig in ihrem Fokus stehen. Das erste geschah in Wuppertal Barmen und das zweite an der Lösseler Straße in Iserlohn-Roden.

Gerade in so aufgewühlten Zeiten wie wir sie gegenwärtig erleben, mit all den Krisen, Kriegen und den rechtsextremistischen Bestrebungen hier in Deutschland und den Ländern um uns herum, ist es gut sich diese Ereignisse und ihre Botschaften immer wieder bewusst zu machen und sich von dem Mut und der Entschlossenheit der Menschen damals anstecken und mitnehmen zu lassen.

Am 31. Mai 1934, also vor neunzig Jahren wurde in Wuppertal die Barmer Theologische Erklärung des Bundes der deutschen Bekenntniskirchen veröffentlicht, mit der sich ein Teil der Christinnen und Christen in der Evangelischen Kirche in Deutschland gegen die Ideologie der Nationalsozialisten und der Deutschen Christen stellten und ihnen nicht nur die „Gefolgschaft“ versagten, sondern jeglichen Anspruch einer Rechtfertigung ihres Tuns verneinten.

Diese Erklärung ist zum wegweisenden Lehr- und Glaubenszeugnis der Gliedkirchen in der EKD geworden, die in unserer Landeskirche als eine schriftgemäße, für den Dienst der Kirche verbindliche Bezeugung des Evangeliums bejaht wird und gehört zu den Bekenntnisschriften auf die alle Pfarrerinnen und Pfarrer der EKvW ordiniert werden.

Brich in deiner Kirche an …

Und diese Bekenntnisschrift hat ganz viel mit der Christuskirche an der Lösseler Straße am Roden in Iserlohn zu tun, in deren Nachfolge die Christinnen und Christen dieser Gemeinde stehen.

Viele kommen jeden Tag an ihr vorbei. Trutzig und stark erscheint sie, als könne sie so schnell nichts erschüttern. Und doch ist sie in der Zeit der tiefsten Erschütterung unseres Landes gebaut worden, als Christinnen und Christen und der gesamte Staatsapparat Verrat an Jesus Christus begangen und ihren Glauben missbraucht haben.

Eines der Lieder, die die Botschaft dieser Ereignisse zum Klingen bringt und in Erinnerung ruft ist: „Sonne der Gerechtigkeit, gehe auf in unsrer Zeit, brich in DEINER Kirche an, dass die Welt es sehen kann, erbarm dich Herr.“

Weck die tote Christenheit aus dem Schlaf der Sicherheit …

Die Christuskirche ist zum Weckruf aus Stein geworden. Mit ihrem Hahn auf der Spitze, als Wächter und Mahner, seinen Glauben nicht zu verleugnen, ragt ihr nicht sehr hoher, mit einem Pultdach versehener Turm in den Himmel. Würde man diese architektonische Besonderheit aus heutiger Sicht deuten, könnte man denken, mit dieser Bauweise sollte die Deckelung und Unterdrückung der Bekennenden Kirche in der Zeit des Nationalsozialismus ausgedrückt werden, in der diese Kirche geplant und gebaut wurde.

Schaue die Zertrennung an, der kein Mensch sonst wehren kann …

Ihre Einweihung am 06. Mai 1937 ist ein Zeichen des Widerstands, das auch heute noch laut ruft: „Weck die tote Christenheit aus dem Schlaf der Sicherheit; mache deinen Ruhm bekannt überall im ganzen Land. Erbarm dich, Herr.“  Die Gemeindeglieder aus der Grüne und vom Roden, zusammen mit ihrem damaligen Pfarrer Hans Martin Gericke, waren mit ihrem Pfarrbezirk die einzigen der Großgemeinde Iserlohn, die sich zu der Zeit der Bekennenden Kirche angeschlossen hatten und von den Deutschen Christen und Nationalsozialisten entsprechenden Anfeindungen ausgesetzt waren.

Noch im Februar 1937 hatte Joseph Goebbels in seinen Tagebüchern festgehalten: „Kerrl (Minister für Kirchenfragen) hat einen furchtbaren Unsinn angerichtet. So kann man die Kirchenfrage nicht lösen, man schafft damit nur Märtyrer. Kerrl will die Kirche konservieren, wir wollen sie liquidieren…“

Zum Glück ist es anders gekommen. Die Barmer Theologische Erklärung und die Bekennende Kirche wurden mit zu Grundpfeilern, die es den Bürgerinnen und Bürgern ermöglicht haben, Stück für Stück zum demokratischen Staat der Bundesrepublik Deutschland zu werden und international in die Gemeinschaft der Christen, zusammen-geschlossen im Ökumenischen Rat der Kirchen, zurück zu kehren. Unter anderen war es Pfarrer Martin Niemöller, der klar zum Ausdruck brachte: „Es ist verhängnisvoll zu schweigen, wenn Menschen und Menschenrechte mit Füßen getreten werden, wenn die Freiheit des Denkens und Glaubens abgeschafft und das Recht zum Instrument des Terrors wird …“

Schaffe Licht in dunkler Nacht.

Heute sehen sich Christinnen und Christen wieder vor der Aufgabe, sich aus ihrem Glaubens heraus deutlich zu positionieren.

Denn nicht nur in unserem Land, sondern auch in den Staaten um uns herum versuchen rechtsextremistische Kräfte Menschen mit ihrer Ideologie der scheinbar schnellen und durchschlagenden Lösungen zu jeglicher Krisenbewältigung zu ködern. Sie säen Hass und jede Menge Menschenverachtung mit ihren populistischen Schriften, Reden und Internet-Kampagnen in die Herzen der Menschen. Geschickt nutzen sie als demokratisch gewählte Partei sogar die demokratischen Strukturen unseres Staates aus, um Parlamente und Institutionen zu unterwandern, die Abschaffung der gegenwärtigen Demokratie mit den von ihr garantierten Menschen- und Freiheitsrechten, als auch der Europäischen Union zu betreiben und Rassismus, Antisemitismus Menschenfeindlichkeit zu propagieren.

Deines Himmelreiches Lauf hemme keine List noch Macht.

Wer aber im Glauben steht, der und die übernimmt auch gesellschaftliche Verantwortung. Eine Erkenntnis oder besser Selbstverständlichkeit die die ehemalige Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Annette Kurschus  so ausgedrückt hat: „Wenn ich die Bibel lese, hat das Folgen für mein Handeln. Darum kann ich Glaube und Politik nicht voneinander trennen.“ Und auf einer Kundgebung gegen Rechtsextremismus in Dortmund sagte Ulf Schlüter, der leitende Geistliche der westfälischen Kirche vor wenigen Tagen: „Die Würde des Menschen ist unteilbar. Sie gilt für alle Menschen gleichermaßen. Ganz gleich etwa, wo ein Mensch geboren ist. … Die kannst und musst du dir nicht verdienen. Die ist, wie wir Christen sagen, ein Geschenk des Himmels, einfach so, hast du es von Anfang an, Gott sei Dank, so wie jeder Mensch auf dieser Erde. Wir wollen, wir dürfen, wir werden nicht schweigen. Wenn in diesem Land Rechtspopulisten und Rechtsextreme Pläne schmieden, Millionen Menschen ins Ungewisse zu deportieren – wieder einmal, weil sie fremd und anders sind, dann müssen wir denen das Handwerk legen.“ Rassismus, Antisemitismus, Islamophobie, Antiziganismus – jede Form von Menschenfeindlichkeit habe keinen Platz in diesem Land, stellte Schlüter klar. „Wer Hass gegen andere schürt, wer die ungeteilte Menschenwürde aller missachtet und damit auf Stimmenfang geht, der muss raus aus den Parlamenten. Konsequent und schleunigst.“

Sammle, großer Menschenhirt, alles, was sich hat verirrt …

Die AfD ist auf gar keinen Fall mehr mit dem christlichen Glauben vereinbar. Die EKD, ihre Landeskirchen und die Bischofskonferenz der katholische Kirche haben darauf gemeinsam eine klare Antwort gegeben: "Völkisch-nationale Gesinnungen und menschenverachtende Haltungen und Äußerungen sind mit den Grundsätzen des christlichen Glaubens in keiner Weise vereinbar, das können wir nun ökumenisch umso deutlicher sagen", erklärte die kommissarische EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs in Hannover.

Gib den Boten Kraft und Mut, Glaubenshoffnung, Liebesglut …

Eine Gemeinde, wie die der Christuskirche in Iserlohn-Roden, hat ihren Grundstein zu so einer mutigen und widerständigen Haltung vor 87 Jahren gelegt und sollte sich daran in ihrem Tun heute erinnern. Ein Erinnerungsstück aus der Anfangs- und damit Widerstandszeit ist die erste Bibel der Gemeinde, die gut erhalten in der Sakristei aufbewahrt wird. In ihr sind über alle Zeiten hinweg die Verheißungen gesammelt, die Jesus Christus den Gläubigen damals in der Bekennenden Kirche als auch den Gläubigen heute zuspricht und ihnen Wegweisung und Orientierung gibt.

Text und Fotos (1-3) Bernhard Laß

1 evKKIs Christuskirche Iserlohn Roden

2 Text Micha 4 in der ersten Bibel der Christuskirche

3 erste Lutherbibel von 1936

4 Bekenntnissynode Barmen.  Foto aus Evangelischer-Widerstand.de

Christuskirche in Iserlohn-Roden, Lösseler Str. 12, eingeweiht 1937.

Die erste Bibel der Christuskirche von 1936, Text Mica 4

Heilige Schrift nach Martin Luther

Zeitungsbericht von der Bekenntnissynode 1934 in Wuppertal - Barmen